ΔH°R
ΔH°f
kJ/mol

Reaktionsenthalpie aus Standardbildungsenthalpien berechnen

Entdecke, wie du mit Standardbildungsenthalpien die Gesamtenergiebilanz chemischer Reaktionen ermitteln kannst - Wichtige Grundlagen für die Oberstufe

1. Was ist die Reaktionsenthalpie?

Die Reaktionsenthalpie (ΔH°R) ist eine thermodynamische Größe, die angibt, wie viel Energie bei einer chemischen Reaktion aufgenommen oder abgegeben wird. Sie ist ein Maß für die Wärmeenergie, die bei einer Reaktion unter Standardbedingungen (Temperatur von 25°C und Druck von 1 bar) umgesetzt wird.

Exotherme Reaktionen

Bei exothermen Reaktionen wird Energie freigesetzt:

  • ΔH°R ist negativ (ΔH°R < 0)
  • Die Umgebung erwärmt sich
  • Die Produkte haben eine niedrigere Energie als die Edukte
  • Beispiele: Verbrennung, Neutralisation, Knallgasreaktion

Endotherme Reaktionen

Bei endothermen Reaktionen wird Energie aufgenommen:

  • ΔH°R ist positiv (ΔH°R > 0)
  • Die Umgebung kühlt sich ab
  • Die Produkte haben eine höhere Energie als die Edukte
  • Beispiele: Fotosynthese, Schmelzen von Eis, Verdampfen von Wasser

Einheit der Reaktionsenthalpie:

Die Reaktionsenthalpie wird üblicherweise in kJ/mol angegeben. Dabei bezieht sich "mol" auf die in der Reaktionsgleichung angegebenen Stoffmengen.

Beispiel: Bei der Reaktion 2 H₂ + O₂ → 2 H₂O mit ΔH°R = -572 kJ bedeutet dies, dass bei der Bildung von 2 mol Wasser aus 2 mol Wasserstoff und 1 mol Sauerstoff 572 kJ Energie freigesetzt werden.

Standardbildungsenthalpie verstehen

Diese Animation zeigt den Zusammenhang zwischen Standardbildungsenthalpien (ΔH°f) und der Reaktionsenthalpie (ΔH°R). Du siehst, wie Energie bei der Bildung von Verbindungen aus den Elementen umgesetzt wird und wie sich daraus die Gesamtenergiebilanz einer Reaktion ergibt.

2. Die Standardbildungsenthalpie (ΔH°f)

Die Standardbildungsenthalpie gibt an, wie viel Energie bei der Bildung einer Verbindung aus den Elementen in ihrem Standardzustand unter Standardbedingungen umgesetzt wird. Der Standardzustand eines Elements ist die stabilste Form des Elements bei 25°C und 1 bar.

Definition der Standardbildungsenthalpie:

Die Standardbildungsenthalpie (ΔH°f) ist die Enthalpieänderung bei der Bildung von 1 mol einer Verbindung aus den Elementen in ihrem Standardzustand unter Standardbedingungen.

Wichtig: Für Elemente in ihrem Standardzustand gilt per Definition: ΔH°f = 0 kJ/mol

Beispiele für Standardbildungsenthalpien (ΔH°f)

Verbindung Formel ΔH°f [kJ/mol] Reaktionstyp
Wasser (flüssig) H₂O (l) -285,8 Exotherm
Kohlenstoffdioxid CO₂ (g) -393,5 Exotherm
Methan CH₄ (g) -74,8 Exotherm
Ammoniak NH₃ (g) -46,1 Exotherm
Stickstoffmonoxid NO (g) +90,2 Endotherm
Ethin (Acetylen) C₂H₂ (g) +226,7 Endotherm
Sauerstoff O₂ (g) 0 Element
Kohlenstoff (Graphit) C (s) 0 Element

Beachte:

Die Werte für Standardbildungsenthalpien findest du in Tabellenwerken oder im Internet. Für die Klausur oder das Abitur werden dir diese Werte in der Regel zur Verfügung gestellt!

Vorzeichen der Standardbildungsenthalpien

Negative ΔH°f-Werte (exotherm)

Eine negative Standardbildungsenthalpie bedeutet:

  • Die Bildung der Verbindung setzt Energie frei
  • Die Verbindung ist energieärmer als ihre Elemente
  • Die Verbindung ist in der Regel stabiler als ihre Elemente
  • Beispiele: Wasser, Kohlenstoffdioxid, die meisten Oxide

Positive ΔH°f-Werte (endotherm)

Eine positive Standardbildungsenthalpie bedeutet:

  • Die Bildung der Verbindung benötigt Energiezufuhr
  • Die Verbindung ist energiereicher als ihre Elemente
  • Die Verbindung ist in der Regel weniger stabil als ihre Elemente
  • Beispiele: Acetylen, Ozon, viele Stickoxide

3. Berechnung der Reaktionsenthalpie mit dem Satz von Hess

Um die Reaktionsenthalpie (ΔH°R) einer chemischen Reaktion zu berechnen, wenden wir den Satz von Hess an. Er besagt, dass die Reaktionsenthalpie nur vom Anfangs- und Endzustand abhängt, nicht aber vom Weg der Reaktion. Dieses Prinzip ermöglicht es uns, die Reaktionsenthalpie aus Standardbildungsenthalpien zu berechnen.

Die Grundformel zur Berechnung der Reaktionsenthalpie:

ΔH°R = Σ ΔH°f(Produkte) - Σ ΔH°f(Edukte)

wobei:

  • ΔH°R = Reaktionsenthalpie in kJ/mol
  • Σ ΔH°f(Produkte) = Summe der Standardbildungsenthalpien aller Produkte
  • Σ ΔH°f(Edukte) = Summe der Standardbildungsenthalpien aller Edukte

Wichtig: Bei der Berechnung müssen die stöchiometrischen Koeffizienten berücksichtigt werden!

Die wichtigsten Schritte:

  1. Stelle die Reaktionsgleichung auf und überprüfe, ob sie ausgeglichen ist
  2. Suche die Standardbildungsenthalpien aller beteiligten Stoffe heraus
  3. Multipliziere jede Standardbildungsenthalpie mit dem entsprechenden stöchiometrischen Koeffizienten
  4. Berechne die Summe der Standardbildungsenthalpien der Produkte und der Edukte
  5. Bilde die Differenz: ΔH°R = Σ ΔH°f(Produkte) - Σ ΔH°f(Edukte)
  6. Interpretiere das Ergebnis: ΔH°R < 0 exotherm, ΔH°R > 0 endotherm

Der Born-Haber-Kreisprozess

Eine fortgeschrittene Anwendung des Satzes von Hess ist der Born-Haber-Kreisprozess, der zur Berechnung der Gitterenergie von Ionenkristallen verwendet wird. Diese Animation zeigt, wie verschiedene Energieterme zusammenwirken, um die Bildungsenthalpie eines Salzes zu bestimmen.

4. Beispiel: Verbrennung von Methan

Schauen wir uns ein praktisches Beispiel an: die Verbrennung von Methan (Hauptbestandteil von Erdgas). Bei dieser Reaktion verbindet sich Methan mit Sauerstoff zu Kohlenstoffdioxid und Wasser.

Reaktionsgleichung:

CH₄ (g) + 2 O₂ (g) → CO₂ (g) + 2 H₂O (l)

Standardbildungsenthalpien:

  • ΔH°f(CH₄) = -74,8 kJ/mol
  • ΔH°f(O₂) = 0 kJ/mol (Element im Standardzustand)
  • ΔH°f(CO₂) = -393,5 kJ/mol
  • ΔH°f(H₂O) = -285,8 kJ/mol

Berechnung:

ΔH°R = Σ ΔH°f(Produkte) - Σ ΔH°f(Edukte)

ΔH°R = [1 · ΔH°f(CO₂) + 2 · ΔH°f(H₂O)] - [1 · ΔH°f(CH₄) + 2 · ΔH°f(O₂)]

ΔH°R = [1 · (-393,5 kJ/mol) + 2 · (-285,8 kJ/mol)] - [1 · (-74,8 kJ/mol) + 2 · (0 kJ/mol)]

ΔH°R = [-393,5 kJ/mol + (-571,6 kJ/mol)] - [-74,8 kJ/mol + 0 kJ/mol]

ΔH°R = -965,1 kJ/mol - (-74,8 kJ/mol) = -890,3 kJ/mol

Die Reaktion ist exotherm (ΔH°R < 0). Bei der Verbrennung von 1 mol Methan werden 890,3 kJ Energie freigesetzt.

Warum ist die Verbrennung von Methan exotherm?

Bei der Verbrennung werden die Bindungen in CH₄ und O₂ aufgebrochen (Energie wird verbraucht) und neue Bindungen in CO₂ und H₂O gebildet (Energie wird freigesetzt). Da die Bindungen in CO₂ und H₂O energetisch günstiger sind als in CH₄ und O₂, wird insgesamt mehr Energie freigesetzt als verbraucht wird - die Reaktion ist exotherm.

Dies erklärt, warum fossile Brennstoffe wie Erdgas für die Energiegewinnung so wichtig sind: Sie setzen bei ihrer Verbrennung große Mengen Energie frei, die wir für Heizung, Stromerzeugung und Transport nutzen können.

Berechne selbst die Reaktionsenthalpie!

Probiere selbst, die Reaktionsenthalpie für die Verbrennung von Methan zu berechnen. Passe die stöchiometrischen Koeffizienten an, um zu sehen, wie sich die Reaktionsenthalpie ändert.

+ +

5. Anwendungen und Beispiele aus dem Alltag

Warum ist die Berechnung der Reaktionsenthalpie wichtig?

Die Kenntnis der Reaktionsenthalpie hilft uns, viele Phänomene in unserem Alltag zu verstehen:

  • Warum Erdgas und andere Brennstoffe zur Energiegewinnung genutzt werden können
  • Wie Heizkissen und Wärmepackungen funktionieren
  • Warum Kühlpacks beim Aktivieren kalt werden
  • Wie viel Energie bei industriellen Prozessen umgesetzt wird
  • Wie der Energieumsatz im lebenden Organismus funktioniert

Beispiele für exotherme und endotherme Reaktionen im Alltag

Exotherme Reaktionen:

  • Verbrennung von Brennstoffen: Holz, Erdgas, Benzin
  • Chemische Heizkissen: Oxidation von Eisen
  • Batterien und Akkus: Elektochemische Reaktionen
  • Neutralisation: Mischen von Säuren und Basen
  • Stoffwechsel: Verdauung von Nahrung im Körper

Endotherme Reaktionen:

  • Fotosynthese: Umwandlung von CO₂ und Wasser in Glucose
  • Chemische Kühlpacks: Lösen von Ammoniumnitrat in Wasser
  • Verdunstungskühlung: Verdampfen von Schweiß auf der Haut
  • Manche Lösungsvorgänge: z.B. Citronensäure in Wasser

6. Übungsaufgaben

Aufgabe 1: Bildung von Ammoniak

Berechne die Reaktionsenthalpie für die Bildung von Ammoniak aus den Elementen:

N₂ (g) + 3 H₂ (g) → 2 NH₃ (g)

Gegeben: ΔH°f(NH₃) = -46,1 kJ/mol

Hinweis: ΔH°f(N₂) = ΔH°f(H₂) = 0 kJ/mol (Elemente im Standardzustand)

Aufgabe 2: Verbrennung von Ethanol

Berechne die Reaktionsenthalpie für die vollständige Verbrennung von Ethanol:

C₂H₅OH (l) + 3 O₂ (g) → 2 CO₂ (g) + 3 H₂O (l)

Gegeben:

  • ΔH°f(C₂H₅OH) = -277,7 kJ/mol
  • ΔH°f(CO₂) = -393,5 kJ/mol
  • ΔH°f(H₂O) = -285,8 kJ/mol
  • ΔH°f(O₂) = 0 kJ/mol

Aufgabe 3: Haber-Bosch-Verfahren

Bei der industriellen Ammoniaksynthese (Haber-Bosch-Verfahren) reagieren Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak:

N₂ (g) + 3 H₂ (g) ⇌ 2 NH₃ (g)

a) Berechne die Reaktionsenthalpie.

b) Erkläre anhand des Enthalpiewertes, warum man trotz negativer Reaktionsenthalpie hohe Temperaturen benötigt.

Gegeben: ΔH°f(NH₃) = -46,1 kJ/mol

7. Zusammenfassung

Die wichtigsten Formeln

ΔH°R = Σ ΔH°f(Produkte) - Σ ΔH°f(Edukte)

ΔH°R < 0: exotherme Reaktion (Energieabgabe)

ΔH°R > 0: endotherme Reaktion (Energieaufnahme)

ΔH°f(Element im Standardzustand) = 0 kJ/mol

Vorgehensweise bei der Berechnung

  1. Aufstellen der Reaktionsgleichung
  2. Sammeln der benötigten Standardbildungsenthalpien
  3. Berücksichtigung der stöchiometrischen Koeffizienten
  4. Anwenden der Formel: ΔH°R = Σ ΔH°f(Produkte) - Σ ΔH°f(Edukte)
  5. Interpretation des Ergebnisses (exotherm oder endotherm)

Klausurtipps:

  • Achte auf die richtigen Vorzeichen der Bildungsenthalpien!
  • Vergiss nicht, die stöchiometrischen Koeffizienten zu berücksichtigen.
  • Gib stets die Einheit (kJ/mol) an.
  • Interpretiere das Ergebnis (exotherm/endotherm).
  • Überprüfe, ob deine Reaktionsgleichung ausgeglichen ist.
  • Bei Elementen im Standardzustand ist die Bildungsenthalpie immer 0 kJ/mol.

8. Weiterführende Themen

Die Berechnung der Reaktionsenthalpie aus Standardbildungsenthalpien ist der Grundstein für viele weiterführende Konzepte in der physikalischen Chemie und Thermodynamik.